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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 17.11.2008
Aktenzeichen: A 2 S 2867/08
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 34a Abs. 2
AsylVfG § 80
VwGO § 152a
GG Art. 16a Abs. 2
Zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Beschwerde gegen eine kraft Gesetzes unanfechtbare verwaltungsgerichtliche Entscheidung wegen "greifbarer Gesetzeswidrigkeit" nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

A 2 S 2867/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsandrohung

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 17. November 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2008 - 6 K 3489/08 - wird zurück gewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde ist nicht statthaft und deshalb als unzulässig zu verwerfen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16.8.2008 ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen und für den Fall, dass die zuständige Ausländerbehörde von der Abschiebungsanordnung bereits in Kenntnis gesetzt worden sei, dieser mitzuteilen, dass eine Abschiebung nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten nicht durchgeführt werden dürfe. Es handelt sich damit unzweifelhaft um eine Entscheidung in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz. Entscheidungen dieser Art können nach § 80 AsylVfG nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Davon ausgenommen ist allein die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 133 Abs. 1 VwGO).

Das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof haben allerdings in ihrer früheren Rechtsprechung angenommen, dass eine von Gesetzes wegen unanfechtbare gerichtliche Entscheidung im Falle ihrer greifbaren Gesetzwidrigkeit ausnahmsweise mit einer außerordentlichen, d.h. in der jeweiligen Prozessordnung nicht vorgesehene Beschwerde angegriffen werden könne (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.2.2000 - 9 B 74.00 - Juris; Beschl. v. 29.1.1998 - 8 B 2.98 - NVwZ-RR 1998, 685; Beschl. v. 3.3.1997 - 8 B 32.97 - Buchholz 310 § 152 VwGO Nr. 12; zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Beschl. v. 7.3.2002 - IX ZB 11/02 - BGHZ 150, 133). Eine solche Korrektur wurde allgemein als zulässig angesehen, wenn eine Entscheidung unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Anwendung materiellen Rechts beruht, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint.

Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27.7.2001 hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung geändert, da der Gesetzgeber mit § 321 a ZPO nunmehr eine Abhilfemöglichkeit für Verfahren vorgesehen habe, in denen eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung bislang nicht möglich gewesen sei (Beschl. v. 7.3.2002 - IX ZB 11/02 - aaO; Beschl. v. 9.3.2006 - VII ZB 8/06 - BauR 2006, 1019). Dieser Auffassung hat sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen und zur Begründung ausgeführt, dem Zivilprozessreformgesetz könne die gesetzgeberische Entscheidung entnommen werden, dass eine im Rechtsmittelzug nicht mögliche Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung aufgrund eines außerordentlichen Rechtsbehelfs demjenigen Gericht vorbehalten bleiben solle, das die Entscheidung erlassen habe. Hierauf lasse vor allem das neu geschaffene Verfahren zur Rüge von Gehörsverletzungen durch unanfechtbare Entscheidungen der ersten Instanz gemäß § 321 a ZPO schließen, das die Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts vorsehe. Dieses Verfahren finde gemäß § 173 S. 1 VwGO auch für Gehörsrügen gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidung Anwendung (BVerwG, Beschl. v. 5.10.2004 - 2 B 90.04 - NVwZ 2005, 232). Der inzwischen durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom 9.12.2004 in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügte § 152 a enthält eine mit diesem Verfahren übereinstimmende Regelung.

Die vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr vertretene Auffassung ist angesichts des eingeschränkten Anwendungsbereichs des § 152 a VwGO wenig überzeugend. Der außerordentliche Rechtsbehelf des § 152 a VwGO eröffnet die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe für den Fall, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. u.a. BVerwG, Beschl. v. 21.12.2006 - 2 B 74.06 - Juris). Die Verletzung anderer Rechte wie etwa des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) wird von der Vorschrift nicht erfasst. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 15/3706, S. 14) wird dies damit erklärt, dass die Gewährung von Rechtsschutz gegen die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte nicht Gegenstand des vom Bundesverfassungsgericht erteilten Gesetzgebungsauftrags sei. Das Gesetz treffe dementsprechend keine Aussage zu der Frage, wie die Gerichte künftig mit Verletzungen etwa des Willkürverbots umgehen sollten. Insbesondere sollten die bisher in diesen Fällen zur Anwendung gekommenen außerordentlichen Rechtsbehelfe wie die außerordentliche Beschwerde oder die Gegenvorstellung durch den auf Anhörungsrügen beschränkten Anwendungsbereich der Regelung nicht ausgeschlossen werden. Der vierte Senat des Bundesfinanzhofs zieht daraus wohl zu Recht den Schluss, dass neben der Anhörungsrüge weitere Möglichkeiten zur Geltendmachung anderer schwerer Verfahrensmängel bestehen müssten (Beschl. v. 8.9.2005 - IV B 42/05 - BFHE 210, 225). Die Annahme, die außerordentliche Beschwerde gegen unanfechtbare Entscheidungen in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit sei im Hinblick auf die in § 152 a VwGO getroffene Regelung generell nicht mehr statthaft, leuchtet noch weniger ein, wenn die greifbare Gesetzwidrigkeit nicht in der schwerwiegenden Verletzung von Verfahrensvorschriften, sondern in der - unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheinenden - Anwendung des materiellen Rechts liegt. Der Senat sieht jedoch davon ab, diesen Bedenken weiter nachzugehen. In Übereinstimmung mit der zitierten früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine außerordentliche Beschwerde gegen eine von Gesetzes wegen unanfechtbare gerichtliche Entscheidung jedenfalls nur dann als zulässig anzusehen, wenn die Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist. Diese - engen - Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts steht im Widerspruch zum Wortlaut des § 34a Abs. 2 AsylVfG, wonach die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist Griechenland ein solcher sicherer Drittstaat (§ 26 a AsylVfG, Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 - BVerfGE 94, 49) hat die Verfassungsmäßigkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG bestätigt und zur Begründung auf die durch Art. 16 a Abs. 2 GG geschaffene Rechtslage verwiesen. Gemäß Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich auf das Asylrecht aus Art 16a Abs. 1 GG nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Art. 16a Abs. 2 GG folge damit - so das Bundesverfassungsgericht weiter - dem "Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat", die sich darauf beziehe, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht habe, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewähre.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt dieser Grundsatz jedoch nicht ausnahmslos. Vom Konzept der normativen Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat seien danach nicht umfasst Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greife und dadurch zum Verfolgerstaat werde. Ferner könne sich - in seltenen Ausnahmefällen - aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löse und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigere, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen werde.

Gestützt hierauf hat das Verwaltungsgericht sich trotz der Anordnung in § 34 a Abs. 2 AsylVfG für berechtigt gehalten, die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland auszusetzen, da nach den vorliegenden Erkenntnisquellen zur Situation und Behandlung von Flüchtlingen in Griechenland davon auszugehen sei, dass dem Antragsteller dort kein Asylverfahren offen stehe, das die Mindestnormen für Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Europäischen Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 einhalte. Ebensowenig sei gewährleistet, dass in Griechenland die Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 eingehalten würden. Die Verletzung der genannten Normen und die damit einher gehenden Grundrechts- und Menschenrechtsverletzungen seien in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgerichts Gießen (Beschl. v. 25.4.2008 - 2 L 201/08 - Juris) sowie anderer Verwaltungsgerichte als ein weiterer Sonderfall anzusehen, in dem § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht anzuwenden sei.

An der Richtigkeit dieser Auffassung bestehen insoweit Bedenken, als nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, nur dann erreicht werden kann, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der betreffende Ausländer von einem der genannten, im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. Die im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25.4.2008 zitierte Auskunft des UNHCR vom 10.1.2008, wonach es in Griechenland bei der Registrierung von Asylanträgen häufig Probleme gebe und die effektive und zeitnahe Registrierung neu gestellter Asylanträge nicht immer garantiert sei, dürfte als Beleg dafür kaum genügen. Das Gleiche gilt für die in diesem Beschluss referierten Aufzeichnungen des Europareferenten von Pro Asyl vom 8.2.2008, die lediglich den Einzelfall eines iranischen Asylsuchenden zum Gegenstand haben. Das kann jedoch auf sich beruhen, da trotz dieser Bedenken jedenfalls nicht von einer "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gesprochen werden kann. Die Entscheidung ist damit im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht überprüfbar.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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