Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 21.03.2006
Aktenzeichen: A 6 S 1027/05
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, EGRL 04/83


Vorschriften:

AsylVfG § 73 Abs. 1
AsylVfG § 73 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
EGRL 04/83 Art. 6
EGRL 04/83 Art. 7 Abs. 2
1. Angehörige der Minderheit der Ashkali haben im Kosovo derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten.

2. Die allgemeine Lage im Kosovo begründet für Angehörige der Minderheit der Ashkali kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG

Im Namen des Volkes

Urteil

A 6 S 1027/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2006 am 21. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2005 - A 10 K 10359/04 - geändert. Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen den Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Kosovo und gehören zur Volksgruppe der Ashkali. Der am 06.02.1965 geborene Kläger Nr. 1 reiste am 04.09.1991 mit seiner am 06.12.1969 geborenen Ehefrau Nadzije (der Klägerin im Parallelverfahren A 6 S 759/05) und den gemeinsamen Kindern, nämlich den am 01.03.1989 und am 12.12.1989 geborenen Klägern Nr. 2 und 3 und den weiteren Töchtern Ganimete (der am 02.01.1987 geborenen Klägerin im Parallelverfahren A 6 S 697/05) und Bukurije (der am 01.08.1985 geborenen Klägerin im Parallelverfahren A 6 S 698/05) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie alle beantragten beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigte. Die nach der Einreise am 12.02.1992 und am 16.04.1993 geborenen Kläger Nr. 4 und 5 wurden später in das Asylverfahren einbezogen. Mit Bescheid vom 07.02.1995 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger (und der weiteren genannten Familienangehörigen) als Asylberechtigte ab (Nr. 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Nr. 2 und 3), und drohte ihnen die Abschiebung an (Nr. 4). Die hiergegen gerichteten Klagen wies das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 08.02.1996 (A 12 K 11663/95) ab, weil die Angaben des Klägers Nr. 1 vage, substanzlos und widersprüchlich seien und die übrigen Familienmitglieder keine eigenen asylerheblichen Tatsachen vorgebracht hätten.

Am 07.02.1997 stellten die Kläger (und die genannten weiteren Familienangehörigen aus den Parallelverfahren) Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, den das Bundesamt mit Bescheid vom 24.10.1997 ablehnte. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hob diesen Bescheid mit Urteil vom 14.04.1999 (A 17 K 15415/97) auf und verpflichtete die Beklagte, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für die Bundesrepublik Jugoslawien vorliegen. Das Verwaltungsgericht legte zugrunde, dass die Kläger zur Volksgruppe der Albaner gehörten und dass in der Bundesrepublik Jugoslawien ein Verfolgungs- und Vertreibungsprogramm gegenüber Albanern aus dem Kosovo bestehe.

Hierauf erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 04.06.1999 die Kläger (sowie die drei genannten Familienmitglieder aus den Parallelverfahren) als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegen.

Im Hinblick auf die veränderte politische Lage im Kosovo leitete das Bundesamt am 24.11.2003 ein Widerrufsverfahren gemäß § 73 AsylVfG ein. Die Kläger machten daraufhin erstmals geltend, sie gehörten der Minderheit der Ashkali an. Das Bundesamt bagatellisiere und verharmlose die bedrohliche Situation der Roma und Ashkali im Kosovo. Die Sicherheitslage sei für Minderheitenangehörige insgesamt noch immer prekär, insbesondere die Angehörigen der Roma und Ashkali seien regelmäßig gewaltsamen Übergriffen auf Leib und Leben ausgesetzt. Darüber hinaus sei der Kläger Nr. 1 schwer erkrankt, er leide an insulinpflichtiger Diabetes mellitus II B, einer arteriellen Hypertonie, Adipositas II, einem metabolischen Syndrom sowie einem Bandscheibenvorfall; hierüber wurden ärztliche Bescheinigungen vom 17.12.2003 und 18.12.2003 vorgelegt. Die Kinder seien schulisch und sozial integriert.

Mit Bescheid vom 20.01.2004 widerrief das Bundesamt die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte vom 04.06.1999 (Nr. 1) und die mit Bescheid vom 04.06.1999 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Nr. 2). Außerdem stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen (Nr. 3).

Am 30.01.2004 haben die Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Bescheid verstoße gegen das Unverzüglichkeitsgebot des § 73 Abs. 1 AsylVfG, da sich die Verhältnisse im Kosovo bereits im Juni 1999 grundlegend geändert hätten. Auch seien die Rücknahmefristen gemäß §§ 48 und 49 VwVfG nicht gewahrt. Die institutionellen Bemühungen zur Integration Asylberechtigter sprächen für eine strenge Handhabung des Unverzüglichkeitsgebots. Auch habe die Beklagte die Zumutbarkeit der Rückkehr nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht geprüft. Dass sie Ashkali seien, hätten sie in den vorangegangenen Asylverfahren nicht vorgetragen, weil die Serben als damalige Verfolger Albaner und Ashkali gleichermaßen verfolgt hätten. Jetzt würden sie von der albanischen Mehrheit verfolgt. Zum Beweis ihrer Volkszugehörigkeit haben die Kläger einen Mitgliedsausweis des Vereins der Ashakli Kosovos und eine Bestätigung des Vorsitzenden dieses Vereins vorgelegt.

Mit Urteil vom 17.01.2005 hat das Verwaltungsgericht Ziff. 2 und 3 des Bescheids des Bundesamts vom 20.01.2004 aufgehoben und die Klage im übrigen abgewiesen. Der Widerruf der Asylanerkennung sei nicht zu beanstanden, denn die Kläger seien inzwischen in ihrer Heimat nicht mehr von politischer Verfolgung bedroht. Das Bundesamt sei ausschließlich im öffentlichen Interesse zum unverzüglichen Widerruf verpflichtet; daher könnten sich die Kläger nicht auf die fehlende Unverzüglichkeit berufen. Die Anwendbarkeit von §§ 48, 49 VwVfG könne offen bleiben, weil die Jahresfrist gewahrt sei. Die Klage sei aber hinsichtlich § 51 Abs. 1 AuslG begründet, weil die Voraussetzungen des nunmehr geltenden § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG vorlägen. Mit dieser Vorschrift habe der deutsche Gesetzgeber einen Perspektivwechsel von der "täterbezogenen" Verfolgung zur "opferbezogenen" Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und damit von der "Zurechnungslehre" zur "Schutzlehre" vorgenommen. Die schweren Vorfälle vom März 2004 hätten zu einer Eskalation der ethnisch motivierten Gewalt im gesamten Kosovo geführt und die Region an den Rand eines bewaffneten Konflikts gebracht. Die Unruhen seien keine spontanen Gewaltausbrüche gewesen, sondern hätten auf einem koordinierten und zielgerichteten Handeln von bisher unbekannten Strukturen geführt, gegen das die KFOR-Truppen auch in der nächsten Zukunft keinen effektiven Schutz gewährleisten könnten. Die Minderheiten, zu denen die Kläger gehörten, seien bei einer Rückkehr in den Kosovo erheblich gefährdet, Opfer solcher von den staatlichen bzw. internationalen Organisationen nicht effektiv beherrschbarer Übergriffe zu werden. Angesichts der Heftigkeit, der Zahl der handelnden nichtstaatlichen Akteure und des Hintergrunds der Übergriffe vom März 2004 sei von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit solcher Übergriffe auszugehen. Auf ein regionales Ausweichen innerhalb des Kosovo könnten die Kläger nicht verwiesen werden. Auch eine inländische Fluchtalternative im restlichen Serbien oder Montenegro hätten die Kläger nicht, weil alles dafür spreche, dass sie dort nicht ihre Existenz sichern und eine menschenwürdige neue Heimat finden könnten. Eine Registrierung als Binnenvertriebene sei weder in Serbien noch in Montenegro möglich. Ohne eine solche Registrierung könnten sie grundlegende Rechte einschließlich Gesundheitsfürsorge, Arbeitslosenunterstützung, Rente, Sozialversicherung und Unterkunft nicht in Anspruch nehmen. Da die Widerrufsentscheidung zu Unrecht erfolgt sei, habe für das Bundesamt auch keine Veranlassung bestanden, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) zu entscheiden.

Hiergegen hat die Beklagte, soweit der Klage stattgegeben wurde, die Zulassung der Berufung beantragt, die der Senat mit Beschluss vom 08.11.2005 - A 6 S 160/05 - wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat.

Die Beklagte hat die Berufung durch Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen begründet. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2005 - A 10 K 10359/04 - zu ändern und die Klagen insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Sie machen geltend, der Gesetzgeber habe sich vom Zurechnungsgrundsatz in der deutschen Rechtsprechung grundlegend abgekehrt. Seit dem 01.01.2005 müsse politische Verfolgung nicht mehr dem Staat oder einer staatsähnlichen Gewalt zuzurechnen sein. In einem Urteil vom 15.11.2004 - 7 S 1128/02 - habe der erkennende Gerichtshof aus den Unruhen vom März 2004 gefolgert, dass Angehörige der Ashkali bei einer Rückkehr in das Kosovo in eine konkrete Gefahr für Leib und Leben geraten wären. Diese Gefahr habe sich seit März 2004 nicht vermindert. Das latente Spannungspotential unter der Albaner-Mehrheit könne jederzeit zu einem Flächenbrand mit Pogromcharakter wie im März 2004 führen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Dem Senat liegen die Gerichts- und Verwaltungsakten aus dem vorliegenden Verfahren und den Parallelverfahren der genannten Familienmitglieder vor (A 6 S 697/05, A 6 S 698/05 sowie A 6 S 759/05). Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren; denn auf diese Folge ihres Ausbleibens sind sie in der ihnen rechtzeitig zugestellten Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht der Widerruf der Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte, da insoweit das - die Klage abweisende - Urteil rechtskräftig geworden ist.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, unten unter I.). Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG besteht nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, unten unter II.).

I.

1. Die Widerrufsentscheidung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Widerruf sei nicht "unverzüglich" erfolgt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, wird ein als asylberechtigt Anerkannter nicht allein deshalb in seinen Rechten verletzt, weil das Bundesamt einen berechtigten Widerruf der Asylanerkennung nicht unverzüglich ausspricht. Denn die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf ist dem Bundesamt nicht im Interesse des einzelnen Ausländers als Adressaten des Widerrufsbescheids, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung der ihm nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition auferlegt (BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21.04 -, DVBl 2006, 511 = InfAuslR 2006, 244 m.w.N.).

Der angefochtene Widerrufsbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt bei Erlass des angefochtenen Widerrufsbescheids die Jahresfrist für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt hätte. Das folgt schon daraus, dass die Jahresfrist frühestens mit einer Anhörung der Kläger in Lauf gesetzt wurde (BVerwG, Urteil vom 08.05.2003, BVerwGE 118, 174, 179; Urteil vom 01.11.2005, a.a.O.). Hier hat das Bundesamt die Kläger mit Schreiben vom 05.12.2003 zum beabsichtigten Widerruf angehört und den angefochtenen Widerrufsbescheid bereits wenige Wochen später am 20.01.2004 erlassen; die Jahresfrist ist mithin bei weitem gewahrt. Bei dieser Sachlage kann auf sich beruhen, dass sie nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht anwendbar ist (Senatsbeschluss vom 12.08.2003, VBlBW 2004, 36 = NVwZ-Beilage I 2003, 101; offen gelassen vom Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 08.05.2003 und 01.11.2005, a.a.O.; vgl. auch Urteil vom 19.09.2000, BVerwGE 112, 80).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, findet § 73 Abs. 2a AsylVfG auf Widerrufsentscheidungen, die - wie bei den Klägern - vor dem 01.01.2005 ergangen sind, keine Anwendung (BVerwG, Urteil vom 01.11.2005, a.a.O.).

2. Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 20.01.2004 ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht frei von Rechtsfehlern.

a) Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung ist die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, (unverzüglich) zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen, also insbesondere dann, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht (BVerwG, Urteil vom 19.09.2000, BVerwGE 112, 80, 82). Da § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit Wirkung vom 01.01.2005 an Stelle des bisher einschlägigen § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist, gilt § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch für den Fall, dass eine Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffen worden war (Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 08.02.2005, BVerwGE 122, 376, 379).

Der Senat teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 01.11.2005 a.a.O.), dass die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG inhaltlich weitgehend der "Beendigungs-" oder "Wegfall-der-Umstände-Klausel" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) entspricht. Die Flüchtlingsanerkennung ist danach insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht (bzw. hier für die Nachfluchtgründe) maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Dann kann der Betroffene es nicht mehr ablehnen, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK). Diese Klausel, die bei der Auslegung der Widerrufsbestimmungen zu berücksichtigen ist, bezieht sich ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung. Gegen den Widerruf kann der Ausländer dagegen nicht einwenden, dass ihm im Heimatstaat nunmehr sonstige, namentlich allgemeine Gefahren (z.B. aufgrund einer schlechten Wirtschaftslage) drohen. Ob ihm deswegen eine Rückkehr unzumutbar ist, ist nicht beim Widerruf der Flüchtlingsanerkennung zu prüfen; Schutz kann insoweit nur nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Bestimmungen, namentlich nach § 60 Abs. 7 AufenthG gewährt werden (siehe hierzu unten unter II.). Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft setzt jedoch voraus, dass dem Ausländer bei einer Rückkehr nunmehr auch nicht aus anderen Gründen - besonders auch nicht von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG - Verfolgung droht (siehe hierzu im einzelnen BVerwG, Urteil vom 01.11.2005, a.a.O.).

b) Für die Verfolgungswahrscheinlichkeit ist im vorliegenden Fall der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit maßgeblich.

Bei der Prüfung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen entfallen sind, ist von wesentlicher Bedeutung, ob der Ausländer vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist er wegen bestehender oder unmittelbar bevorstehender (Gruppen-)Verfolgung ausgereist und hatte er wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative keine Möglichkeit, dieser Verfolgung auszuweichen, so gilt der "herabgestufte" Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit, weil er wegen des humanitären Charakters des Flüchtlingsrechts nicht das Risiko einer Wiederholung tragen soll (BVerwG, Urteil vom 03.11.1992, BVerwGE 91, 150, 154, und Beschluss vom 11.03.1998, - 9 B 757/97 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.04.2003 - A 14 S 825/00 -). Dies ist hier nicht der Fall. Die Kläger Nr. 1 bis 3 sind unverfolgt ausgereist, die Kläger Nr. 4 und 5 erst nach der Einreise der Familie in Deutschland geboren. Ihre Klagen wurden im Asylerstverfahren rechtskräftig abgewiesen, weil sie weder eine Individual- noch eine Gruppenverfolgung glaubhaft machen konnten. Ihre spätere Anerkennung im Folgeverfahren knüpfte nicht an Vorgänge vor der Ausreise an.

Der "herabgestufte" Maßstab wäre darüber hinaus nur anzuwenden, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen den zur Flüchtlingsanerkennung führenden Nachfluchtgründen und der Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt bestünde, dass bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen oder nach den gesamten Umständen typischerweise das erhöhte Risiko der Wiederholung einer gleichartigen Verfolgung gegeben wäre (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, BVerwGE 104, 97, 102 f.). Dieser innere Verfolgungszusammenhang ist hier indessen unterbrochen, weil die Verfolgung der albanischen Minderheit durch die Serben, die hier - im Folgeverfahren - als Nachfluchtgrund zur Flüchtlingsanerkennung geführt hat, seit dem Abzug der serbischen Truppen im Jahr 1999 beendet ist.

c) Den Klägern droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, sog. Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen von (a) dem Staat, (b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder (c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

In Betracht kommt hier nur Verfolgung der Kläger wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit, und hier nur Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Diese erfordert zunächst, dass die Kläger als Angehörige einer ethnischen Minderheit "wegen ihrer Rasse bedroht" sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Kläger leiten die Gefahr der Verfolgung nicht aus gegen sie selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ab und machen damit eine Gruppenverfolgungssituation geltend. Hierauf ist die bisherige Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung anwendbar, weil sich hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Verfolgung - anders als hinsichtlich des Kriteriums der staatlichen Zurechenbarkeit dieser Verfolgung als mittelbare staatliche Verfolgung bzw. Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure - die Rechtslage mit Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 AufenthG nicht geändert hat. Danach kann sich die Verfolgungsgefahr auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines für die Flüchtlingseigenschaft erheblichen Merkmals verfolgt werden, das der Betroffene mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 231). Die Annahme einer derartigen Gruppenverfolgung setzt voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise, latent oder potentiell, sondern wegen der Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt (politische) Verfolgung droht. Voraussetzung für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals "Gruppenverfolgung" ist damit das Vorliegen einer bestimmten "Verfolgungsdichte", welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.1994, NVwZ 1994, 1121; Urteil vom 15.05.1990, BVerwGE 85, 139). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in (asylrechtlich) geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt, sondern dass die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder abzielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, weil auch keine verfolgungsfreien oder deutlich weniger gefährdeten Zonen oder Bereiche vorhanden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216; BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, BVerwGE 96, 200; Urteil vom 08.02.1989, NVwZ-RR 1989, 502). Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung hat das Gericht das Tatsachenmaterial umfangreich und vollständig auszuwerten und sich mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandersetzen (BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, BVerwGE 96, 200, insbes. 211 und 215).

Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure setzt weiter voraus, dass der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staates beherrschen (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG, hier also die UNMIK-Verwaltung und die KFOR-Truppen als Inhaber der Staatsgewalt), nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG). Für eine nähere Bestimmung dieses ausreichenden Schutzes bietet sich ein Rückgriff auf die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) an, in welcher Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und der Inhalt dieses Schutzes festgelegt werden. Auch wenn die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie (bis zum 10.10.2006) noch nicht abgelaufen und im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist bzw. Verkündung des Umsetzungsgesetzes gemäß Art. 249 EGV regelmäßig keine Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.05.2005, NVwZ 2005, 1098 f.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.07.2005, AuAS 2005, 262; Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.10.2005 - 23 B 05.30584 - und vom 22.11.2005 - 13a ZB 05.30683 -, juris), bietet Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie einen Anhaltspunkt für die Auslegung von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Die deutliche Anlehnung an den Wortlaut der Qualifikationsrichtlinie rechtfertigt es, die Richtlinie als Hilfsmittel für die Auslegung heranzuziehen (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG, Februar 2006, Rdnr. 58; Wenger, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2005, § 60 Rdnr. 6). Danach ist der gebotene Schutz vor Verfolgung generell gewährleistet, wenn zum einen der Staat oder die Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn zum anderen der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (Art. 7 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie). Diesem Standard liegt - wie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die Vorstellung zugrunde, dass vollständiger Schutz gegen Verfolgungsgefahren durch nichtstaatliche Akteure nicht möglich und deshalb auch nicht geschuldet ist; vom Staat kann nicht verlangt werden, dass er sämtliche Risiken beseitigt. Maßgeblich ist vielmehr eine pragmatische Betrachtungsweise, wobei die Intensität des Schutzes den Gefahren entsprechen muss, in denen sich ein Einzelner oder eine verfolgte Gruppe befindet, und auch zu berücksichtigen ist, inwiefern bereits in der Vergangenheit Verfolgungsgefahr für den Einzelnen oder die Gruppe bestand; auf eine staatliche Schutzunwilligkeit kann es hindeuten, wenn der Staat zum Schutz anderer Gruppen oder zur Wahrung seiner eigenen Interessen mit deutlich effektiveren Mitteln einschreitet (BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216; Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 62).

Verfolgung durch "nichtstaatliche Akteure" erfordert schließlich, dass der so umschriebene Schutz "erwiesenermaßen" fehlt (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG). Diese Wendung, die Artikel 6 der Qualifikationsrichtlinie entstammt, ist in Anlehnung an den englischen Wortlaut ("if it can be demonstrated") dahin zu verstehen, dass von dem Flüchtling kein strenger Beweis verlangt wird, sondern der auch sonst im Asylrecht geltende Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden ist (Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8, Aufl. 2005, § 60 Rdnr. 16 im Anschluss an Duchrow, ZAR 2004, 339). Dies bedeutet hier, dass für die Kläger im Kosovo neben der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Volkszugehörigkeit als Ashkali auch der ungenügende Schutz durch staatliche Stellen, KFOR und UNMIK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen muss.

d) Auf dieser Grundlage vermag der Senat nach Auswertung der Erkenntnismittel nicht festzustellen, dass den Klägern bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im dargelegten Sinne droht.

Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die staatlichen Stellen (z.B. der lokale, multi-ethnische Kosovo Police Service KPS) und internationalen Organisationen (insbesondere KFOR und UNMIK) im Kosovo nicht in der Lage oder nicht willens sind, den Klägern als Volkszugehörigen der Ashkali Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

An der Schutzwilligkeit dieser Organisationen bestehen keine Zweifel. Sie wird belegt durch den hohen Aufwand der internationalen Staatengemeinschaft für den Kosovo-Einsatz, die unmittelbare Reaktion auf die März-Unruhen und die jüngsten Erklärungen des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats vom 24.10.2005 und des Rats der EU vom 07.11.2005. Der UN-Sicherheitsrat stimmte am 24.10.2005 der Aufnahme von Verhandlungen über den künftigen Status des Kosovo zu, durch die ein multi-ethnisches und demokratisches Kosovo geschaffen werden solle (BAMF-Information Serbien und Montenegro, Kosovo, Aktuelle Lage - Ein Jahr nach den Unruhen, Mai 2005, S. 21).

Auch ausreichende Schutzfähigkeit liegt nach Überzeugung des Senats vor. Insoweit kommt es, wie dargelegt, darauf an, ob geeignete Schritte eingeleitet worden sind und ob die Angehörigen der Minderheit der Ashkali Zugang zu diesem Schutz haben. Dies ist im Kosovo der Fall. Der Aufbau einer lokalen, multi-ethnischen Polizei (Kosovo Police Service, KPS) ist weit vorangeschritten. Zur Zeit (Stand: Oktober 2005) sind 2160 Vollzugsbeamte der internationalen Polizei vor Ort im Einsatz, darunter 238 Polizisten aus Deutschland, und ca. 16.620 KFOR-Soldaten stationiert; an diesem Einsatz beteiligt sich Deutschland mit ca. 2.600 Soldaten (Stand: November 2005, siehe Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro <Kosovo> vom 22.11.2005, S. 6). KFOR und UNMIK haben auf die Unruhen vom März 2004 unmittelbar reagiert und sind auf mögliche Ausschreitungen jetzt wesentlich besser vorbereitet. Die Bundeswehr vor Ort wurde mit Tränengas und Schlagstöcken ausgerüstet. KFOR verfügt über eine flexible Einsatztaktik, stärkere und hochmobile Kräfte, Distanz- und Wirkmittel. Um den Schutzauftrag zu erfüllen, betreibt sie Kontroll- und Beobachtungspunkte und setzt motorisierte und Fußpatrouillen ein. Schwerpunkte der KFOR-Patrouillen sind Minderheitenenklaven, kulturelle Stätten und potenzielle Rückkehrerorte. Eskorten schützen Einzelfahrzeuge oder Konvois (BAMF-Information Serbien und Montenegro, Kosovo, Aktuelle Lage - Ein Jahr nach den Unruhen, Mai 2005, S. 4). Dementsprechend ist es in der Zwischenzeit auch nicht mehr zu weiteren vergleichbaren Unruhen gekommen. Vielmehr ist es den Sicherheitskräften offensichtlich gelungen, bereits ein gutes halbes Jahr nach diesen Unruhen die Durchführung der zweiten Parlamentswahlen am 23.10.2004 als Grundstein eines demokratischen politischen Systems so zu gewährleisten, dass sie insgesamt friedlich und ohne Zwischenfälle verliefen und den Kriterien des Europarats entsprachen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O., S. 2).

Die Schutzfähigkeit wird in zahlreichen Stellungnahmen - mittelbar - bestätigt. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) teilt die Einschätzung, dass sich die allgemeine Sicherheitslage im Kosovo insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2004 insgesamt wieder stabilisiert hat. Er teilt mit, die ernsthaften Bemühungen der provisorischen Selbstverwaltungsorgane im Kosovo bei der effektiven Umsetzung von Normen insbesondere zum Umgang mit ethnischen Minderheiten hätten neue Hoffnungen auf Rückkehrmöglichkeiten in zahlreiche Gemeinschaften geweckt. Gemessen an der Zahl schwerwiegender Verbrechen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten habe sich auch die Sicherheitslage im Kosovo verbessert. Seit dem gewaltsamen Tod eines 16jährigen Kosovo-Serben, der am 06.06.2004 aus einem vorüber fahrenden Auto erschossen worden sei, seien keine weiteren Berichte über ethnisch motivierte Tötungsverbrechen bekannt geworden. Erste Fortschritte seien nach Berichten der Vereinten Nationen und internationaler Menschenrechtsorganisationen auch bei der Verfolgung der Verantwortlichen für die März-Ausschreitungen zu verzeichnen (UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2005). Die Gesellschaft für bedrohte Völker, die im übrigen eine Stabilisierung der Sicherheitslage bestreitet, stimmt darin überein, dass es seit März 2004 nicht mehr zu größeren Übergriffen gegen die Roma und Ashkali gekommen ist (Schrift der Gesellschaft für bedrohte Völker vom Juni 2005 mit dem Titel "Roma und Ashkali im Kosovo: verfolgt, vertrieben, vergiftet!", Ergebnisse einer Recherche vom Dezember 2004 bis Mai 2005, S. 13). Für die Stabilisierung der Situation spricht auch, dass die fragile Sicherheitslage nicht wie vom UNHCR befürchtet, im Jahr 2005 erneut "umgekippt" ist. Aus all dem ergibt sich, dass aus den inzwischen zwei Jahre zurückliegenden Unruhen vom März 2004 jedenfalls heute nichts mehr für die mangelnde Schutzfähigkeit hergeleitet werden kann.

Die Annahme, dass die internationalen Organisationen ausreichend Schutz gewähren können, wird auch nicht dadurch widerlegt, dass einige Beobachter Menschenrechtsverletzungen befürchten. Schikanemaßnahmen wie Beleidigungen, Beschimpfungen, Benachteiligung bei Ämtern, Ausgrenzung bei Arztbesuchen und ähnliches (vgl. etwa von Holtey, die Gesellschaft für bedrohte Völker und das Auswärtige Amt, Lagebericht, a.a.O.) verbleiben unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, BVerfGE 80. 315, 334 f. und Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie). Soweit Beobachter (wie die Gesellschaft für bedrohte Völker und von Holtey, a.a.O.) davon ausgehen, dass Ashkali schwere Menschenrechtsverletzungen befürchten müssten, ist dies nicht durch konkrete Vorfälle belegt und schlägt sich auch in der Kriminalstatistik nicht nieder. Auch sehen selbst Beobachter, die die Sorge vor schweren Menschenrechtsverletzungen teilen und vor einer Zwangsrückführung der Minderheiten warnen, bei einer Gesamtwürdigung dennoch die Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr als gegeben. Insbesondere die Schweizerische Flüchtlingshilfe schätzt die Lage für Ashkali im Kosovo mittlerweile anders ein als vor einem Jahr und hält eine freiwillige Rückkehr mittlerweile grundsätzlich für möglich; sie sieht die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im wesentlichen nur für Personen, die im Verdacht der Kollaboration mit der serbischen Verwaltung stünden oder verdächtigt würden, an Plünderungen beteiligt gewesen zu sein (SFH, Positionspapier "Asylsuchende Roma aus dem Kosovo" vom 19.10.2005 gegenüber dem Update vom 24.05.2004). Auch der UNHCR bezieht die Gefahr ethnisch motivierter Zwischenfälle mit tätlichen Angriffen auf Personen nur auf die Situation der Kosovo-Serben, Roma und Albaner, wenn sie in dem jeweiligen Gebiet die Minderheit darstellen; diese Personengruppen sollten nur auf strikt freiwilliger Grundlage zurückkehren. Angehörige der Volksgruppen der Ashkali und der Ägypter erführen hingegen, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, insgesamt mehr Toleranz und hätten nur noch in Einzelfällen ein Bedürfnis nach internationalem Schutz, das in einem umfassenden individuellen Verfahren geprüft werden solle (UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2005). Ferner hält auch die Hintergrundnote der UNMIK vom Dezember 2005, auf die sich die Kläger berufen, die gestufte Rückführung der Minderheiten für grundsätzlich möglich und schließt lediglich die Rückkehr einzelner Personen wie chronisch Kranker und unbegleiteter Kinder aus. Der UN-Sonderbotschafter Kai Eide bewertet die Sicherheitslage für die Minderheitenangehörigen in seinem Bericht vom 07.10.2005 an den UN-Sicherheitsrat zwar für die Angehörigen von Minderheiten als beunruhigend ("troubling"), bezeichnet sie jedoch als "insgesamt stabil". Auch die problematischen und mitunter divergierenden Einschätzungen der Sicherheitslage durch verschiedene Vertreter der internationalen Gemeinschaft (z.B. UNMIK, KFOR, UNHCR, vgl. AA, Lagebericht S. 9) können die beachtliche Wahrscheinlichkeit mangelnden Schutzes nicht belegen. Dass die Standards einer toleranten, demokratischen und multi-ethnischen Gesellschaft im Kosovo (UNMIK-Papier vom 10.12.2003) nur teilweise erreicht worden sind, das Verhältnis der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander sehr gespannt und die Sicherheitslage nach allgemeiner Einschätzung nicht stabil ist, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Denn eine instabile Sicherheitslage begründet für sich genommen noch nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgung. Ebenso unerheblich ist das subjektive Empfinden der Betroffenen, die teilweise kein Vertrauen gegenüber den Sicherheits- und Justizbehörden haben (AA, Lagebericht, a.a.O., S. 15; UNHCR-Position vom März 2005, a.a.O.); entscheidend ist nicht dieses subjektive Empfinden, sondern der objektiv zu erlangende Schutz für die Betroffenen.

Da danach im Ergebnis davon auszugehen ist, dass die Minderheit der Ashkali im Kosovo hinreichenden Schutz findet, kommt es nicht mehr darauf an, dass, soweit Angehörige dieser Minderheit gleichwohl Opfer von Verfolgungsmaßnahmen werden, eine die Regelvermutung eigener Gefährdung der Kläger begründende "Verfolgungsdichte" nicht zu befürchten ist. Hiergegen sprechen schon die Opferzahlen in der Kriminalstatistik, in der die Minderheit der Ashkali weder nach den absoluten Zahlen noch nach dem Verhältnis zum Bevölkerungsanteil besonders häufig als Verbrechensopfer genannt wird. Im Jahr 2004 gab es im Kosovo 87 Mordopfer, von denen etwa ein Viertel zu den Minderheiten gehörte (13 % Kosovo-Serben und 11 % Angehörige anderer Minderheiten); von den 172 im Jahr 2004 registrierten interethnischen Vorfällen waren die Opfer in 111 Fällen Kosovo-Serben, in 20 Fällen Kosovo-Albaner, in 16 Fällen Roma, in 16 Bosniaken, in 3 Kroaten und in 2 Türken gewesen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O., S. 10). Soweit die Volksgruppe der Ashkali in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass sie insoweit der Gruppe der Roma zugerechnet wird. Die Aussagekraft dieser Kriminalstatistik wird auch nicht dadurch entwertet, dass anzunehmen ist, dass daneben eine Dunkelziffer nicht angezeigter Straftaten besteht. Im Ergebnis richtet sich jedenfalls nur ein Bruchteil der Kapitalverbrechen und der interethnischen Vorfälle im Kosovo gegen die Minderheit der Ashkali. Dies deckt sich im übrigen mit der Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht S. 15), dass sich die Unruhen im März 2004 nicht eigentlich gegen die Ashkali und Ägypter als albanisch-sprachige Minderheiten gerichtet und dementsprechend für diese Gruppen trotz einzelner Vorkommnisse die Lage nicht nachhaltig destabilisiert hätten.

In dieser Einschätzung sieht sich der Senat dadurch bestätigt, dass sie sich mit der einhelligen asyl- und ausländerrechtlichen Rechtsprechung aller Oberverwaltungsgerichte deckt (vgl. etwa die Beschlüsse des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13.05.2005 - 13 LA 92/05 - und vom 25.08.2005 - 10 LA 90/05 -; Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 11.05.2005 - 1 Q 16/05 - und Urteil vom 08.12.2005 - 2 W 35/05 -, Leitsatz in NVwZ-RR 2006, 289; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteile vom 29.07.2005 - 22 B 01.30739 - und vom 10.08.2005 - 22 B 03.30050 -; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.12.2005 - 14 A 4317/03.A -, alle zitiert nach asylis; anderer Auffassung im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes der 7. Senat des erkennenden Gerichtshofs, Urteile vom 15.11.2004 - 7 S 1128/02 - und vom 12.01.2005 - 7 S 1769/02 -).

Die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, auf die alle Lagebeurteilungen hinweisen, sind als allgemeine Gefahren nicht im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern des § 60 Abs. 7 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 01.11.2005, a.a.O.).

e) Da die politische Verfolgung der Kläger im Kosovo nicht beachtlich wahrscheinlich ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob sie in Restserbien eine inländische Fluchtalternative haben.

4. Dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung steht auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Da die Kläger unverfolgt ausgereist oder erst in Deutschland geboren sind, scheidet eine solche subjektive Fernwirkung der früheren Verfolgung aufgrund der psychischen Sondersituation aus. Allgemeine, von den gesetzlichen Voraussetzungen losgelöste Zumutbarkeitskriterien, die einem Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingseigenschaft entgegenstehen könnten, enthält die Vorschrift nicht (BVerwG, Urteil vom 01.11.2005, a.a.O.).

II.

Der Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG scheiden aus, da den Klägern, wie oben dargelegt, weder von staatlicher Seite noch von Seiten nichtstaatlicher Akteure mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Folter oder der Todesstrafe oder einer sonstigen menschenrechtswidrigen Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG droht.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1). Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt (Satz 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a AufenthG nicht besteht, ausnahmsweise in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG Abschiebungsschutz zusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards, jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324, 328; Urteil vom 19.11.1996, BVerwGE 102, 249, 258; Urteil vom 08.12.1998, BVerwGE 108, 77, 80 f.; Urteil vom 12.07.2001, BVerwGE 114, 379, 382). Eine Prüfung dieser Voraussetzungen ist hier nicht deshalb entbehrlich, weil durch die ausländerrechtliche Erlasslage gleichwertiger Schutz vor Abschiebung gegeben wäre (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 12.07.2001, a.a.O.). Denn Angehörige der Minderheit der Ashkali werden - anders als teilweise die Angehörigen der Minderheiten der Roma und der Serben - nach der Erlasslage in Baden-Württemberg und der hierauf gestützten Verwaltungspraxis nicht geduldet, sondern in den Kosovo zurückgeführt (Schreiben des Innenministeriums vom 23.05.2005 zur Rückführung ausreisepflichtiger serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger in das Kosovo, Az.: 4-13-S.u.M./100; telefonische Auskunft des Innenministeriums vom 08.03.2006).

Als Gefahrenmaßstab für die Annahme einer "konkreten Gefahr" im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genügt ebenso wenig wie im Asylrecht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der "Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei allerdings das Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Die Kläger müssen darlegen, dass ihnen diese Gefahr landesweit droht (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324, 330 m.w.N.).

1. Die vorliegenden Erkenntnismittel rechtfertigen nicht den Schluss, dass den Klägern als Angehörigen der Minderheit der Ashkali bei einer Rückkehr in den Kosovo aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche existenzielle Gefahr droht. Wegen der allgemeinen Sicherheitslage gilt hier nichts anderes als im Zusammenhang des § 60 Abs. 1 AufenthG (dazu oben unter I 2 d). Die wirtschaftliche Versorgungssituation begründet ebenfalls keine solche Gefahr. Sie ist im Kosovo zwar schwierig. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist aber gewährleistet. Die Bevölkerung des Kosovo ist bis auf wenige Ausnahmen (z.B. sozial schwache Bewohner von Enklaven) nicht mehr auf die Lebensmittelversorgung durch internationale Hilfsorganisationen angewiesen. Bedürftige Personen erhalten Unterstützung in Form von Sozialhilfe, die sich allerdings auf sehr niedrigem Niveau bewegt und damit als alleinige Einkommensquelle unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten kaum zum Leben ausreicht (AA, Lagebericht, a.a.O., S. 19). Der UNHCR widerspricht dieser Einschätzung nicht, sondern bestätigt sie mittelbar, indem er die Hauptprobleme der Minderheiten benennt, die in anderen Bereichen als der Lebensmittelversorgung liegen. Er verweist auf die noch immer gravierenden Hindernisse für Angehörige ethnischer Minderheiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen im Bereich des Gesundheitswesens, des Schulwesens, der Justiz und der öffentlichen Verwaltung und auf strukturelle Defizite des gesamten öffentlichen Sektors, die die Verfügbarkeit entsprechender Versorgungsleistungen beeinträchtigten (Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2005, S. 3). Dem gegenüber hält die Gesellschaft für bedrohte Völker ("Roma und Ashkali im Kosovo: verfolgt, vertrieben, vergiftet", Juni 2005, S. 8) die humanitäre Lage der Minderheiten der Roma und Ashkali für katastrophal. Es herrsche Mangel an allem. Es fehle an Grundnahrungsmitteln, Heizmaterial, Kleidung und Schuhen. Ihre medizinische Versorgung sei nach wie vor unzureichend. Wirtschaftliches und soziales Elend, hohe Arbeitslosigkeit, Streitigkeiten zwischen der mehrheitlich albanischen Bevölkerung und der zahlenmäßig größten Minderheitengruppe, den Serben, verunsicherten Roma, Ashkali und Ägypter zusätzlich. Damit wird jedoch nur eine sehr allgemeine und pauschale Einschätzung der Versorgungslage ("Mangel an allem") gegeben, ohne konkrete Fälle und Beispiele zu benennen und ohne eine extreme Gefahr nachvollziehbar aufzuzeigen. Dafür dass die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, spricht auch der Umstand, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht, a.a.O., S. 18) und auch der UNMIK nicht die Nahrungsmittelversorgung, sondern die Wohnraumversorgung prioritär ist; UNMIK bezeichnet insoweit die Unterkunftsfrage für rückkehrende Angehörige der Gruppen der Roma, Ashkali und Ägypter seit dem Sommer 2005 als extrem problematisch (AA, Lagebericht, a.a.O., S. 18). Auch die Zahl der freiwilligen Rückkehrer in den Kosovo spricht für ausreichende Lebens- und Überlebensmöglichkeiten. Im Jahr 2004 sind allein aus Deutschland 204 Minderheitenangehörige mit Hilfe von Förderprogrammen freiwillig zurückgekehrt, im Jahr 2005 waren es bis zum 31. Oktober nochmals 245 Minderheitenangehörige. Insgesamt kehrten zwischen 2000 und März 2005 nach UNHCR 12.471 Minderheitenangehörige in den Kosovo zurück (AA, Lagebericht, a.a.O., S. 17 f.).

2. Schließlich ergibt sich auch aus den individuellen gesundheitlichen Problemen kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein solches Abschiebungshindernis kann in der Gefahr bestehen, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Erheblich wäre die Gefahr, wenn sich sein Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Geriete dieser Ausländer alsbald nach der Rückkehr in den Kosovo in diese Lage, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte, wäre die Gefahr auch konkret (BVerwG, Urteil vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383, 387; Urteil vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -).

Dies ist nach dem Vorbringen der Kläger und den vorgelegten Attesten aber nicht zu erkennen. Für die Kläger Nr. 2 bis 5 werden keine Gesundheitsprobleme geltend gemacht. Für den Kläger Nr. 1 wurde vorgetragen und mit zwei ärztlichen Bescheinigungen vom 17.12.2003 und 18.12.2003 belegt, dass er an insulinpflichtiger Diabetes mellitus II B, einer arteriellen Hypertonie, Adipositas II, einem metabolischen Syndrom sowie einem Bandscheibenvorfall leide. Bezüglich des geltend gemachten Bandscheibenvorfalls gibt es keine Anhaltspunkte, die auf die medizinische Behandlungsbedürftigkeit und eine erhebliche konkrete Gefahr bei unterbliebener Behandlung hindeuten. Daher ist ein Abschiebungshindernis insoweit ohne weiteres zu verneinen. Aber auch im übrigen liegt kein gesundheitliches Abschiebungshindernis vor. Diabetes mellitus Typ II sowie Bluthochdruck sind im Kosovo - auch in Kombination - grundsätzlich behandelbar (Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Auskunft an VG Kassel vom 25.07.2005 sowie an VG Bremen vom 21.10.2005). Nach Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 07.06.2005 an VG Sigmaringen sind Zivilisationskrankheiten wie Adipositas (Fettsucht) im Kosovo behandelbar, soweit diese einer medizinischen Behandlung überhaupt zugänglich sind; im übrigen stehe das öffentliche Gesundheitssystem grundsätzlich allen Ethnien offen. Inwieweit diese Krankheiten des Klägers Nr. 1 überhaupt einer medizinischen Behandlung bedürfen, um ihn vor einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu bewahren, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Ob Patienten, die an Diabetes mellitus leiden, von den Zuzahlungen bei Inanspruchnahme des öffentlichen Gesundheitssystems befreit sind (so Deutsches Verbindungsbüros Kosovo vom 07.06.2005 an VG Sigmaringen) oder ob die Angehörigen ethnischer Minderheiten im Gesundheitswesen benachteiligt und teilweise rechtswidrig Kosten und Zuzahlungen erhoben werden (so SFH, Die medizinische Versorgungslage in Kosovo vom 24.05.2005; AA, Lagebericht vom 22.11.2005, Seite 19 f.), kann hier ebenfalls offen bleiben; denn es ist nicht erkennbar und wird auch nicht geltend gemacht, dass der Kläger Nr. 1 deswegen von einer lebensnotwendigen medizinischen Behandlung ausgeschlossen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO und § 83 b AsylVfG sowie § 162 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.

Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.



Ende der Entscheidung

Zurück