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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 18.11.2009
Aktenzeichen: DL 16 S 1921/09
Rechtsgebiete: LDG, AGVwGO, BDG, LVwVfG, VwGO


Vorschriften:

LDG § 22
LDG § 23
AGVwGO § 15 Abs. 2
BDG § 39 Abs. 1 Satz 1
BDG § 63
LVwVfG § 44
VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Die Anordnung über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge gemäß §§ 22, 23 LDG ist nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Die Disziplinarbehörde ist berechtigt, unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anzuordnen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

DL 16 S 1921/09

In der Disziplinarsache

wegen vorläufiger Dienstenthebung und Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 16. Senat - Disziplinarsenat - des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 18. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 29. Juli 2009 - DL 20 K 1146/09 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die von der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 2 LDG, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben dem Senat keine Veranlassung, abweichend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts den Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass ihre Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22.12.2008 aufschiebende Wirkung hat, abzulehnen. Mit dieser Verfügung hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 22 LDG vorläufig des Dienstes enthoben und die Einbehaltung von 50 v. H. der Dienstbezüge ab dem 01.01.2009 angeordnet.

Ebenso wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass die Klage der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22.12.2008, die keine Anordnung des Sofortvollzugs enthält, aufschiebende Wirkung hat. Nach § 22 Abs. 1 LDG kann die Disziplinarbehörde ab Einleitung des Disziplinarverfahrens den Beamten vorläufig des Dienstes entheben, wenn er voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird (Nr. 1) oder andernfalls der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die Enthebung im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Disziplinarmaßnahme verhältnismäßig ist (Nr. 2). Nach Absatz 2 der Vorschrift kann in den Fällen des Absatz 1 die Disziplinarbehörde verfügen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Bezüge einbehalten werden. § 23 LDG regelt die Form und Rechtswirkungen von vorläufiger Dienstenthebung und Einbehaltung der Bezüge. Nach § 23 Abs. 1 LDG sind Verfügungen über vorläufige Maßnahmen mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und dem Beamten zuzustellen. Vorläufige, nicht amtsgemäße Verwendung und vorläufige Dienstenthebung werden mit der Zustellung, die Einbehaltung von Bezügen mit Ablauf des Monats der Zustellung wirksam und vollziehbar. Mit dem Verwaltungsgericht vermag auch der Senat aus dem Wort "vollziehbar" nicht die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs zu entnehmen.

Das LDG führt nach der gesetzgeberischen Absicht das Disziplinarverfahren in ein Verwaltungsverfahren mit sich ggf. anschließendem verwaltungsgerichtlichen Verfahren über und beendet damit im Wesentlichen dessen bisherige Bindung an das Strafprozessrecht. Das Disziplinarverfahren soll an das allgemeine beamtenrechtliche Verwaltungsverfahren angeglichen werden (Amtliche Begründung zum Landesdisziplinargesetz vom 15.07.2008, LT-Drs. 14/2996, S. 52). Die Regelungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsprozesses werden anwendbar (§ 2 LDG). Elemente des Strafprozesses sollen nur dort erhalten bleiben, wo dies mit Blick auf den Rechtsschutz des Beamten unverzichtbar ist. Disziplinarmaßnahmen werden durch Disziplinarverfügung des Dienstherrn ausgesprochen. Dies gilt ebenso für die vorläufige Dienstenthebung wie auch für die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge. Diese Maßnahmen sind Verwaltungsakte im Sinne von § 35 LVwVfG. Der Rechtsschutz hiergegen richtet sich nach den Vorschriften der VwGO und dem hierzu ergangenen Ausführungsgesetz zur VwGO (AGVwGO) vom 14.10.2008 (GBl. S. 343). Nach § 15 Abs. 2 AGVwGO bedarf es in Angelegenheiten nach dem LDG keines Vorverfahrens, so dass der Klageweg sofort eröffnet ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 2 LDG nach verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Kriterien auszulegen. Die VwGO geht vom Regelfall aus, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 1 VwGO) und nach ganz einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung zur Vollziehbarkeitshemmung des Verwaltungsaktes führen (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblatt Stand Oktober 2008, § 80 Rdnr. 75 ff.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2007, Rdnr. 631). Dies gilt auch bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten. Die aufschiebende Wirkung entfällt - neben den in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4, und Satz 2 VwGO ausdrücklich genannten - "nur" in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Der Sofortvollzug soll mithin die Ausnahme sein. Wenn § 23 Abs. 1 Satz 2 LDG bestimmt, dass die vorläufige Dienstenthebung mit der Zustellung, die Einbehaltung von Bezügen mit Ablauf des Monats der Zustellung wirksam und vollziehbar werden, ist der Wortlaut eindeutig. Verwaltungsakte werden regelmäßig - abgesehen vom Fall der Nichtigkeit (vgl. § 44 LVwVfG) - mit ihrer Bekanntgabe an den Adressaten wirksam (§ 43 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) und vollziehbar (statt vieler J. Schmidt in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. § 80 Rdnr. 5). Die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO wird erst durch den Widerspruch ausgelöst, nicht schon durch die Möglichkeit der Einlegung des Rechtsbehelfs (BVerwG, Urteil vom 25.02.1992, NVwZ 1992, S. 791; so auch Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblatt Stand Oktober 2008, § 80 Rdnr. 44 m.w.N.). Damit stellt § 23 Abs. 1 Satz 2 LDG nach seinem Wortlaut klar, dass mit der Wirksamkeit des Verwaltungsakts dieser bereits (vor Bestandskraft) vollziehbar ist (vgl. für die wortgleiche Regelung in § 39 Abs. 1 Satz 1 BDG Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl., § 39, Rdnr. 1, wo ebenfalls von einer Klarstellung ausgegangen wird). Da der Wortlaut somit eindeutig ist bedarf es keiner Auslegung dieser Vorschrift, ebenso wenig ist ein Rückgriff auf die Gesetzeshistorie erforderlich.

Der Ansicht der Antragsgegnerin, wonach § 23 Abs. 1 Satz 2 LDG durch das Wort "vollziehbar" die Anordnung des gesetzlichen Sofortvollzugs enthalte, vermag sich der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht nicht anzuschließen. Zwar beruft sich die Antragsgegnerin auf die Gesetzesbegründung (a.a.O., S. 83) zu § 23 LDG, wo es heißt: "Es handelt sich damit um den Fall einer gesetzlich geregelten sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO)". Der in den Motiven zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers ist bei der Auslegung von Gesetzen heranzuziehen, er findet jedoch seine Grenze im Gesetzeswortlaut (so auch VG Freiburg, Beschluss vom 03.02.2009 - DL 10 K 2727/08 - m.w.N.). Der Wortlaut ist jedoch, wie oben dargestellt, eindeutig. Darüber hinaus lässt sich aus dem Begriff "vollziehbar" erst recht nicht auf die "sofortige" Vollziehbarkeit schließen. Diese Begrifflichkeit ist im Übrigen auch ungewöhnlich. Entsprechend der Ermächtigungsnorm in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO findet sich regelmäßig bei gesetzlich angeordnetem Sofortvollzug die Wendung "Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung". Folgerichtig regelt z. B. § 17 Abs. 2 Satz 2 LDG für die Fälle behördlich angeordneter Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Gefahr im Verzug, dass die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat.

Der Antragsgegnerin ist zuzugeben, dass § 23 LDG der Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 1 BDG wörtlich nachgebildet ist. Zurecht hat das Verwaltungsgericht aber darauf hingewiesen, dass das BDG in § 63 ausdrücklich den vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz geregelt hat, so dass sich die Frage des Sofortvollzugs bei einer Maßnahme nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BDG gar nicht mehr stellt (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2007 - 21d B 1024/07.BDG -, das wegen des besonderen Rechtsschutzes in § 63 BDG von einer Verwaltungsentscheidung sui generis ausgeht).

Ist somit die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von 50 v. H. der Bezüge der Antragstellerin in der Verfügung der Antragsgegnerin vom 22.12.2008 nicht sofort vollziehbar, so entfaltet die Anfechtungsklage der Antragstellerin nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Möchte die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage entfallen lassen, bleibt es ihr unbenommen, den Sofortvollzug der Verfügung vom 22.12.2008 unter den gesetzlichen Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen weist der Senat darauf hin, dass die Antragstellerin weiterhin ein Rechtsschutzinteresse am Feststellungsantrag haben dürfte, obwohl sie zwischenzeitlich durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 20.05.2009 u. a. aus dem Beamtenverhältnis entfernt wurde (Ziff. 1), bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Dienstes enthoben bleibt und 50 % der monatlichen Bezüge einbehalten werden (Ziff. 2). Denn die Verfügung vom 20.05.2009 trifft keine eigenständige Regelung, sondern macht sich ersichtlich die Begründung in der Verfügung vom 22.12.2008 zueigen. Lediglich im Tenor der Entscheidung wird unter Ziff. 2 angeordnet, dass die Beamtin bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung des Dienstes "enthoben bleibt" und 50 Prozent der monatlichen Bezüge einbehalten werden. Bereits der Wortlaut "enthoben bleibt" spricht für eine Bezugnahme auf die hier streitgegenständliche Verfügung. Hinzu kommt, dass sich in der Verfügung weder Ausführungen zur Dienstenthebung noch zur Höhe der einbehaltenen Bezüge, geschweige denn zur Rechtsgrundlage finden. Damit spricht alles dafür, dass die unter Ziff. 2 der Verfügung vom 20.05.2009 getroffene Feststellung keinen eigenständigen Regelungscharakter besitzt, sondern im Sinne einer wiederholenden Verfügung auf die vorläufige Dienstenthebung vom 22.12.2008 Bezug nimmt (vgl. hierzu auch Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Loseblatt Stand September 2009, § 39 BDG, Rdnr. 10).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da die Gerichtskosten streitwertunabhängig sind (Nrn. 214, 220 der Anlage zu § 22 AGVwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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