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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.10.2004
Aktenzeichen: 3 StR 256/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 260 Abs. 3
StGB a.F. § 177
StGB a.F. § 178
StGB a.F. § 177 Abs. 1
StGB a.F. § 178 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 256/04

vom 5. Oktober 2004

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. Oktober 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 14. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Wegen des Vorwurfs von sechs weiteren Taten hat es das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.

Die Revision des Angeklagten erhebt die allgemeine Sachrüge. Sie führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Der Generalbundesanwalt hat zur Begründung seines Aufhebungsantrages ausgeführt:

"1. Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte seine am 19. März 1968 geborene leibliche Tochter Z. seit ihrem 7. oder 8. Lebensjahr. Hinsichtlich der sechs bis zum Jahr 1982/1983 begangenen Taten ist das Landgericht vom Eintritt der Strafverfolgungsverjährung ausgegangen. Der Verurteilung liegen drei Taten aus der Zeit von 1994 bis 1996 zugrunde. Danach führte der Angeklagte an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im Juni 1994 gegen den erkennbaren Widerstand von Z. , die ihm wiederholt zu erkennen gegeben hatte, seiner sexuellen Übergriffe überdrüssig zu sein, aus Angst vor Schlägen ihres Vaters aber keinen Widerstand mehr leistete, den ungeschützten Geschlechtsverkehr durch. An einem nicht mehr feststellbaren Abend im Jahr 1995 oder 1996 forderte der Angeklagte seine Tochter auf, sich ohne Slip mit gespreizten Beinen auf die Couch des sogenannten Zweiten Wohnzimmers zu setzen, wo er mit seiner Hand in die Scheide seiner Tochter eindrang. Dabei ignorierte er deren verbale Ablehnung. Erst als der Angeklagte von seiner Tochter abgelassen hatte, erkannte diese, dass der Angeklagte einen kleinen feinmechanischen Schraubendreher, den er zur Reparatur von Fernsehgeräten nutzte, in ihre Scheide eingeführt und damit darin manipuliert hatte, wodurch ein erheblicher zusätzlicher Schmerz verursacht worden war. Der Angeklagte wollte auf diese Weise den Gebärmutterhals seiner Tochter ausweiten, damit sie, um 'einen Erben zu zeugen', von ihm schwanger werden könne. An einem nicht mehr feststellbaren Tag im selben Zeitraum führte der Angeklagte einen Brillenbügel in die Scheide seiner Tochter ein, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden war, sich zu aktivem Widerstand aus Angst vor ihrem Vater aber nicht aufraffen konnte.

2. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung (UA S. 41) ist das Landgericht davon ausgegangen, der Angeklagte habe Z. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf und zur Duldung der sexuellen Handlungen genötigt. Zuvor habe der Angeklagte keine konkreten Drohungen bei der Vornahme der sexuellen Handlungen gegenüber seiner Tochter geäußert, jedoch habe Z. noch unter dem Eindruck der früheren und fortdauernden Misshandlungen ihrer Mutter durch den Angeklagten und der Erfahrung, dass auch sie mit den Gewalttätigkeiten ihres Vaters rechnen musste, wenn sie sich seinen Forderungen nicht beugte, gestanden. Insoweit hätten die früheren Drohungen fortgewirkt (UA S. 41).

Damit sind weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen einer Vergewaltigung und einer sexuellen Nötigung hinreichend dargetan. Diese lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht in ausreichendem Maße entnehmen.

a) Vergewaltigung und sexuelle Nötigung im Sinne der §§ 177, 178 StGB a.F. setzen voraus, dass der Geschlechtsverkehr oder eine sexuelle Handlung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erzwungen worden sind. Das angewendete Nötigungsmittel muss nach dem Willen des Täters der Herbeiführung der sexuellen Handlungen und ihrer Durchführung tatsächlich dienen, also 'final verknüpft' sein (BGH NStZ 1995, 230; BGH StV 1999, 369). Dabei kann eine frühere Gewaltanwendung fortwirken, wenn nicht zwischen der Gewaltanwendung und der sexuellen Handlung ein längerer Zeitraum liegt (BGHSt 42, 111). Ein Fortwirken früherer Gewalt kommt auch bei einem Andauern der körperlichen Zwangswirkung oder Einschüchterungswirkung in Betracht. Insoweit reicht aber eine allgemeine, auf frühere Misshandlungen gegründete Furcht des Opfers nicht aus (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. § 177 Rn. 16).

b) Nach diesen Maßgaben reichen die getroffenen Feststellungen nicht aus, eine gewaltsame Erzwingung der sexuellen Handlungen durch den Angeklagten zu begründen. Soweit sich die Zeugin Z. dem Angeklagten fügte, weil sie - das Beispiel ihrer Mutter vor Augen, die durch Schläge und Einsperren in einen Raum des Hauses vom Angeklagten laufend misshandelt wurde (UA S. 9) - der Gefahr entgehen wollte, den Gewalttätigkeiten des Angeklagten ausgesetzt zu sein, lässt sich den Urteilsfeststellungen ein unmittelbarer Handlungszusammenhang (Tröndle/Fischer aaO Rn. 12) mit den sexuellen Handlungen nicht entnehmen. An einer finalen Verknüpfung von Gewaltanwendung gegenüber der Zeugin Z. selbst fehlt es, soweit den Urteilsgründen Schläge des Angeklagten gegenüber seiner Tochter zu entnehmen sind (UA S. 9, 15), weil nicht erkennbar ist, dass die Schläge wegen vermeintlichen Fehlverhaltens der Zeugin in einem zeitlichen und zweckgerichteten Zusammenhang mit der Vornahme der sexuellen Handlungen standen. Gewaltanwendung in Bezug auf die konkreten Taten zur Überwindung eines erwarteten oder geleisteten Widerstands ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen nicht. Die bloße Vornahme der sexuellen Handlungen gegen den erkennbaren Willen der Zeugin Z. reicht für die Annahme einer gewaltsamen Erzwingung der sexuellen Handlungen nicht aus (Tröndle/Fischer aaO Rn. 8).

c) Die Feststellungen des Urteils tragen auch nicht die Annahme einer Drohung im Sinne der §§ 177 Abs. 1, 178 Abs. 1 StGB a.F. Frühere Gewaltanwendungen können zwar als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte; so kann vorausgegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (BGH StV 1984, 330; BGH NStZ 1986, 409; BGH NStZ-RR 2003, 42). Die Ausnutzung eines vom Täter durch vorangehende Tätlichkeiten oder Drohungen geschaffenen Klimas der Gewalt (BGH NStZ-RR 1998, 105) kann daher ausreichen, das Tatbestandsmerkmal der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anzunehmen.

Zwar hat der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen seine Tochter in völliger Abhängigkeit gehalten. Sie durfte das Grundstück nur unter seiner Aufsicht verlassen, hatte keinen Umgang mit Altersgenossen und keine Schule besucht. Dem Urteil nicht hinreichend zu entnehmen ist, inwieweit die zeitlich nicht eingeordneten Misshandlungen von Z. in einem finalen Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen - auch den früheren verjährten - standen. Insoweit liegt der Fall anders, als der der Entscheidung BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5 zugrunde liegende Sachverhalt. Vor allem aber lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, ob die Aufrechterhaltung des Gewaltklimas in der Familie durch ausdrückliche oder schlüssige Drohungen bei der Vornahme der sexuellen Handlungen zum Ausdruck gekommen ist, weil insoweit weder Äußerungen noch ein entsprechendes non-verbales Verhalten des Angeklagten (Tröndle/Fischer, aaO Rn. 21; BGH NStZ 2003, 424; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2, 6, 12) festgestellt ist. Die bloße Angst der Geschädigten besagt über eine konkludente Drohung des Angeklagten und eine finale Verknüpfung einer solchen Drohung mit den sexuellen Handlungen noch nichts. Zur Begründung des finalen Zusammenhangs zwischen den früheren Misshandlungen und Drohungen des Angeklagten mit der Vornahme der sexuellen Handlungen hätte es deshalb näherer Darlegungen im Urteil bedurft."

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend:

a) Nach den bisherigen Feststellungen war der Angeklagte "besessen von der Idee", mit seiner Tochter einen Erben zu zeugen. Nach vergeblichen Versuchen, sie zu schwängern, hatte er ihr erklärt, den Gebärmutterhals weiten zu müssen, und dazu mit einem Schraubendreher und einem Brillenbügel in ihrer Scheide manipuliert. Bei diesen besonderen Begleitumständen kann nicht ohne weiteres von sexuellen Handlungen ausgegangen werden. Vielmehr liegen ambivalente Handlungen vor, bei denen es darauf ankommt, ob der Angeklagte dabei zumindest auch von sexuellen Absichten geleitet war (vgl. BGH NStZ 2002, 431; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 184 f Rdn. 4). Dazu wird der neue Tatrichter noch weitere Feststellungen zu treffen und angesichts der abstrusen Vorstellungen des Angeklagten auch zu prüfen haben, ob diese nicht auf eine Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit hinweisen.

b) Bei einer neuerlichen Gesamtstrafenbildung wird Gelegenheit sein, die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1991, 558) und des Senats (NStZ 1991, 330) zur Einbeziehung von Strafen, bei denen Straferlaß in Betracht kommt, zu berücksichtigen sowie ggf. den Widerspruch zwischen dem mitgeteilten Schuldspruch des Urteils des Schöffengerichts Leer vom 5. April 2000 (Diebstahl in 84 Fällen sowie versuchter Diebstahl in neun Fällen) und der Darstellung dieser Taten (geschildert sind nur 84 Taten) auszuräumen.



Ende der Entscheidung

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