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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.10.2004
Aktenzeichen: V ZR 310/03 (1)
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2 Bf
BGB § 909
Bei der Frage, ob ein Architekt wegen Mitwirkens an einer Vertiefung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB haftet, kommt es nicht darauf an, ob er vertragliche Pflichten gegenüber seinem Vertragspartner, z.B. gegenüber dem Bauherrn, verletzt hat, sondern darauf, ob er gegen die durch § 909 BGB konkretisierten allgemeinen Verhaltenspflichten verstoßen hat, die im Interesse des Eigentümers des von der Vertiefung betroffenen Grundstücks zu beachten sind.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 310/03

Verkündet am: 22. Oktober 2004

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin Dr. Stresemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Oktober 2003 aufgehoben, soweit es, auch im Kostenpunkt, die Beklagte zu 1 betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in B. , das mit einem unterkellerten Wohnhaus bebaut ist. Auf dem Nachbargrundstück ließen die früheren Beklagten zu 5 und 6 im Jahre 1998 ein nicht unterkellertes Reihenendhaus errichten, das unmittelbar an die Außenwand des Hauses der Kläger anschließt. Mit der Genehmigungsplanung war die Beklagte zu 1 betraut. Die Bauausführung übernahm eine inzwischen insolvent gewordene GmbH, deren Geschäftsführer die früheren Beklagten zu 3 und 4 waren. Die Erdarbeiten führte die Beklagte zu 2 durch.

Im zeitlichen Zusammenhang mit den Baumaßnahmen litt das Haus der Kläger Schaden, den diese auf eine unzureichende Gründung des Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6 zurückführen. Um den seitlichen Druck auf ihr unterkellertes Haus zu vermeiden - so die Behauptung der Kläger -, hätte das Bauvorhaben der früheren Beklagten zu 5 und 6 bis zur Kellersohle des Nachbarhauses gegründet werden müssen. Die Planung der Beklagten zu 1 sah demgegenüber Streifenfundamente von 50 x 100 cm vor, und das Gebäude wurde auf einer 25 cm dicken Stahlbetonsohle mit seitlichen Streifenfundamenten von 35 x 100 cm gegründet.

Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 als Gesamtschuldnerin mit den früheren Beklagten zu 2 bis 6 im wesentlichen antragsgemäß zur Zahlung von 45.259,89 DM nebst Zinsen verurteilt und die Verpflichtung zum Ersatz weiteren Schadens festgestellt. Das Oberlandesgericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1, 3 und 4 durch Teilurteil abgewiesen. Mit der von dem Senat insoweit zugelassenen Revision erstreben die Kläger hinsichtlich der Beklagten zu 1 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte zu 1 beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint eine Haftung der Beklagten zu 1 nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB. Es äußert "durchgreifende Zweifel" an der Kausalität der Planzeichnungen der Beklagten zu 1 für die unzureichende Gründung des Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6. Die Pläne hätten aus Sicht der Beklagten zu 1 nicht der Bauausführung, sondern nur der Genehmigungsplanung gedient. Zudem habe die Beklagte zu 1 lediglich an der dem Haus der Kläger abgewandten Seite Streifenfundamente eingezeichnet; an der an das Haus der Kläger angrenzenden Seite seien überhaupt keine Fundamente abgebildet. Daher fehle es an der Ursächlichkeit der Zeichnungen für die Gründung des Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6. Darüber hinaus sei der Beklagten zu 1 kein Schuldvorwurf zu machen. Sie habe nämlich nur die Genehmigungsplanung gefertigt und habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß ihre Pläne ohne weitere Prüfung eines Statikers und ohne Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse Grundlage der tatsächlichen Bauausführung werden.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie berücksichtigen nicht hinreichend den Haftungsgrund, der in einer unerlaubten Handlung besteht, nicht in der Verletzung von Pflichten im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen der Beklagten zu 1 und den früheren Beklagten zu 5 und 6.

1. Das Verbot des § 909 BGB, dem Nachbargrundstück die Stütze zu entziehen, richtet sich nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, sondern gegen jeden, der an der Vertiefung mitwirkt, wie z.B. gegen den Architekten, den Bauunternehmer, den bauleitenden Ingenieur oder auch den Statiker, dessen Berechnungen die Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden Sicherungsmaßnahmen bilden. Jeden der Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche Prüfungspflicht. Wenn sein Beitrag an der Vertiefung pflichtwidrig und schuldhaft ist, haftet er nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens (Senat, Urt. v. 12. Juli 1996, V ZR 280/94, NJW 1996, 3204, 3205 mit zahlreichen Nachweisen). Ausgehend hiervon kann eine Haftung der Beklagten zu 1 nicht mit der Begründung verneint werden, auf die das Berufungsgericht seine klageabweisende Entscheidung stützt.

2. Die Beklagte zu 1 hat an einer Vertiefung im Sinne von § 909 BGB mitgewirkt, die - so ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen - dem Boden des Grundstücks der Kläger die erforderliche Stütze entzogen hat. Allerdings ist keine eigentliche Vertiefung vorgenommen worden, die Ursache für die Schäden am Haus der Kläger hätte werden können. Als Ursache kommt nach den Feststellungen des Landgerichts vielmehr ein fehlgeleiteter Druck in Betracht, der vom Haus der früheren Beklagten zu 5 und 6 ausgeht und mangels Gründung bis zur Kellersohle des Hauses der Kläger in deren Grundstück hinüberwirkt und ihm dadurch die Stütze entzieht. Ein solcher Vorgang ist, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, einer Vertiefung im Sinne des § 909 BGB gleichzusetzen (Senat, Urt. v. 5. März 1971, V ZR 168/68, NJW 1971, 935 = LM BGB § 909 Nr. 12).

An der Kausalität des Tatbeitrags der Beklagten zu 1 an diesem Vorgang besteht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Zweifel. Sie hat eine Entwurfsplanung gefertigt, die Grundlage für die Bauanzeige war. Nach ihr wurde gebaut. Der Entwurf sah nicht die erforderliche tiefe Gründung, sondern Streifenfundamente oberhalb der Kellersohle vor. Daß diese Streifenfundamente nur an der dem Haus der Kläger abgewandten Seite eingezeichnet waren, läßt die Kausalität entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entfallen. Dies ändert nämlich nichts daran, daß die Planung die Frage der Gründung nicht aussparte, sie aber unzureichend beantwortete, indem sie nicht zum Ausdruck brachte, daß der Verzicht auf das Kellergeschoß nicht die Gründung bis zur Ebene der Kellersohle des Nachbarhauses entbehrlich machte.

Daß die Pläne aus Sicht der Beklagten zu 1, wie das Berufungsgericht meint, nicht der Ausführung des Bauvorhabens dienten, läßt die Kausalität ebenfalls nicht entfallen. Es kommt nicht auf die Sicht der Beklagten zu 1 an, sondern auf die tatsächlichen Umstände. Danach waren die Pläne Grundlage nicht nur für das Genehmigungsverfahren bzw. die Bauanzeige, sondern auch für die Bauausführung. Dieser Sachzusammenhang liegt im Rahmen dessen, womit nach der Lebenserfahrung zu rechnen ist. Es fehlt daher nicht an der für die objektive Zurechnung notwendigen Adäquanz.

3. Das Verhalten der Beklagten zu 1 war objektiv pflichtwidrig und schuldhaft.

Jeden der an einer Vertiefung Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche Prüfungspflicht (Senat, Urt. v. 12. Juli 1996, V ZR 280/94, NJW 1996, 3204, 3205 m.w.N.). Diese Pflicht hat die Beklagte zu 1 verletzt. Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, daß die Beklagte zu 1 nur die Genehmigungsplanung erstellt habe, scheint dem die Auffassung zugrunde zu liegen, daß die Behandlung der Gründungsproblematik nicht zu dem von der Beklagten zu 1 vertraglich geschuldeten Leistungsumfang gehört habe, so daß ihr ein pflichtwidriges Verhalten nicht angelastet werden könne. Diese Sicht ist verfehlt. Es geht bei der Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB nicht um die Verletzung von Pflichten eines Vertrages, sondern um den Verstoß gegen das Gebot des neminem laedere. Es geht, mit anderen Worten, um allgemeine, gegenüber jedermann bestehende Verhaltenspflichten, die im vorliegenden Fall durch § 909 BGB oder sonst vielfach durch allgemeine Verkehrssicherungspflichten bestimmt und konkretisiert werden. Solche Pflichten können gegenüber dem Grundstücksnachbarn auch dann verletzt sein, wenn vertragliche Pflichten gegenüber dem Bauherrn nicht verletzt sind. Die Pflicht, den Eigentümer eines Grundstücks nicht dadurch zu schädigen, daß diesem durch Vertiefung des Nachbargrundstücks die Stütze entzogen wird, besteht unabhängig davon, wie die Vertragspflichten des an der Vertiefung Beteiligten zu dem Eigentümer des vertieften Grundstücks ausgestaltet sind. Es ist also nicht entscheidend, ob die Beklagte zu 1 aufgrund ihres ihr von den früheren Beklagten zu 5 und 6 erteilten Auftrags auf die Gründung achten mußte, sondern es kommt - für die Frage der objektiven Pflichtwidrigkeit - darauf an, ob ein Architekt, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die Gefahren für das Nachbargrundstück mit sich bringt, diese Gefahren beachten und ihre Realisierung vermeiden muß.

Gemessen daran war das Verhalten der Beklagten zu 1 objektiv pflichtwidrig. Einen Architekten, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die einen Verstoß gegen das Gebot des § 909 BGB befürchten läßt, trifft eine Prüfungspflicht, die - bei fehlender eigener ausreichender Sachkunde - zumindest dahin geht, auf die Problematik hinzuweisen und Fachleute zuzuziehen bzw. deren Zuziehung sicherzustellen (vgl. auch Senat, Urt. v. 26. Januar 1996, V ZR 264/94, WM 1996, 1093, 1095). Geschieht dies nicht und beläßt es der Architekt gleichwohl an seiner Mitwirkung an der Vertiefung, handelt er pflichtwidrig. So liegt es hier. Daß der Bau eines nicht unterkellerten Hauses unmittelbar neben einem unterkellerten statische Probleme auslösen kann, liegt schon für den Laien nahe und mußte daher die Beklagte zu 1 als Architektin veranlassen, dem näher nachzugehen. Sie durfte sich nicht darauf beschränken, Entwurfspläne zu zeichnen, die diese Problematik ausklammerten bzw., durch das Vorsehen objektiv unzureichender Gründungsmaßnahmen, verharmlosten.

Der ihr auch subjektiv zu machende Schuldvorwurf entfällt nicht deswegen, weil sie darauf vertraute, daß ein Statiker die notwendigen Berechnungen anstellen würde, um eine ausreichende Gründung zu gewährleisten. Der Vorwurf liegt gerade in der Sorglosigkeit, auf das Verhalten Dritter zu vertrauen, ohne sicherzustellen und den eigenen Tatbeitrag davon abhängig zu machen, daß die zur Vermeidung von Schäden für das Nachbargrundstück notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß die Beklagte zu 1 irgendwelche Anstrengungen unternommen hat, um zu verhindern, daß ihre den Anforderungen an eine fachgerechte Gründung nicht genügenden Planzeichnungen der weiteren Bauausführung ohne die Prüfung eines Statikers zugrundegelegt wurden. Es ist nicht einmal festgestellt bzw. vorgetragen, daß sie deutlich gemacht hätte, daß die von ihr vorgesehene Gründung durch Streifenfundamente weit oberhalb der Kellersohle des Hauses der Kläger problematisch sein könnte und weitere Untersuchungen erforderlich machte.

III.

Das Berufungsgericht hat keine eigenen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die geltend gemachten Schäden auf eine auf der Genehmigungsplanung beruhenden mangelhaften Gründung zurückzuführen sind. Es ist dem Urteil auch nicht zu entnehmen, daß es sich insoweit die im Wege der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen des Landgerichts zu eigen gemacht hat. Aus seiner Sicht bestand hierfür auch kein Anlaß. Das angefochtene Urteil ist daher zum Zwecke der Nachholung entsprechender Feststellungen und ohnehin zur Klärung der Schadenshöhe an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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