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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 20.05.1998
Aktenzeichen: 2 BvR 1385/95
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1385/95 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn W...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Mathias Neubert, Ringstraße 60, Leipzig -

gegen

a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Dresden vom 16. Mai 1995 - 1 Ss 28/95 -,

b) das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 15. Dezember 1994 - 8 Ns 300 Js 31069/93 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Kruis, Winter gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 20. Mai 1998 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine strafgerichtliche Verurteilung wegen Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) zu einer Geldstrafe. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Strafbarkeit des sogenannten Anstellungsbetrugs wegen Verleugnung einer langjährigen inoffiziellen Mitarbeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR anläßlich einer entsprechenden Befragung des Beschwerdeführers zur Klärung seiner Weiterverwendung im öffentlichen Dienst nach Art. 20 i.V.m. Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1, 2 des Einigungsvertrages. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte "aus Artikel 19 Absatz 4, 103 Grundgesetz".

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Die angesprochenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden worden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die Rüge der Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG entspricht nicht den Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbs., 92 BVerfGG, weil der Beschwerdeführer für die (plausible) Möglichkeit, in diesem Grundrecht beeinträchtigt zu sein, nichts dargelegt hat. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit nicht zulässig erhoben.

2. Die angegriffenen Entscheidungen lassen im übrigen einen Verfassungsverstoß nicht erkennen. Die Auffassung, das Verhalten des Beschwerdeführers erfülle den objektiven Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB, sprengt insbesondere nicht die vom möglichen Wortsinn des Gesetzes markierte, nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. auch § 1 StGB) zu wahrende äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung (vgl. BVerfGE 64, 389 <393 f.>; 71, 108 <114 ff.>).

Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetzes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält insoweit einen strengen Gesetzesvorbehalt. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Straftatbestandes schließt aber die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, daß in Grenzfällen durchaus zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Straftatbestand fällt oder nicht. Für den Normadressaten muß dann wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein. Unter diesem Aspekt ist für eine Bestimmtheit der Strafvorschrift in erster Linie der erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend (vgl. BVerfG a.a.O.).

Die Annahme eines Vermögensschadens als Merkmal des Betrugstatbestandes ist bei Anlegung dieses Maßstabs von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden:

Als Unterfall des Eingehungsbetrugs wird der sogenannte Anstellungsbetrug nach herrschender Auffassung dadurch gekennzeichnet, daß der für den Betrugstatbestand konstitutive Vermögensschaden schon mit Vertragsabschluß gegeben ist (stRspr und h.L.; vgl. z.B. Tröndle, StGB, 48. Aufl. 1997, § 263, Rn. 32 und 33; Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 25. Aufl. 1997, § 263, Rn. 128 ff. jeweils m.w.N.). Der Vermögensschaden ergibt sich durch einen Vergleich des Vermögensstandes des Verletzten vor und nach dem Vertragsabschluß. Eine Vermögensbeschädigung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der vertragliche Anspruch auf die Leistung des Täuschenden in seinem Wert hinter der Verpflichtung zur Gegenleistung des Getäuschten zurückbleibt (vgl. BGHSt 23, 300 <302>). Die dem Vertragsabschluß nachfolgende Erfüllung des Vertrags durch den Getäuschten stellt deshalb nach dieser Auffassung nur noch die Vertiefung des bereits mit Vertragsabschluß eingetretenen Vermögensschadens dar. Die Lehre vom Eingehungsbetrug basiert auf dem Gesichtspunkt der schadensgleichen Vermögensgefährdung, wonach bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Vermögensschaden nicht nur in tatsächlichen Verlusten eines Vermögenswertes ("effektiver" Schaden), sondern schon in der konkreten Gefährdung vermögenswerter Positionen zu sehen sei (stRspr und h.L.; vgl. z.B. Tröndle, a.a.O., Rn. 31 und Cramer, a.a.O., Rn. 143 ff. m.w.N.).

Die spezifische Wertungsproblematik des Anstellungsbetrugs liegt darin begründet, daß dem Anspruch des Dienstverpflichteten auf Entlohnung eine - was die Erfüllung der Dienstpflichten angeht - gleichwertige Gegenleistung gegenüberstehen kann. Schon das Reichsgericht versuchte, die in diesem Rahmen auftretenden Wertungsprobleme durch eine Differenzierung danach zu lösen, ob es sich um die Erschwindelung einer Beamtenposition oder aber eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses gehandelt hat; an dieser grundlegenden Unterscheidung hat auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgehalten. Die ganz herrschende Lehre ist ihm darin gefolgt.

In den Fällen der Erschwindelung einer Beamtenposition wird so trotz ausreichender Leistungen und disziplinarisch tadelloser Führung ein Vermögensschaden und damit Betrug bejaht, wenn sich der Täter persönlich der Stellung "unwürdig" erweist oder die laufbahnrechtlich erforderliche - nicht zuletzt für die Höhe seiner Besoldung nach den einschlägigen Besoldungsgesetzen maßgebliche - Vorbildung nicht besitzt (vgl. bereits RGSt 65, 281 <282> sowie BGHSt 1, 13 <14> und 5, 358 <360 ff.>).

Diese für Beamte aufgestellten Grundsätze sind jedoch nicht ohne weiteres auf Angestellte im Rahmen privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse zu übertragen, mögen diese auch im Dienste des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften stehen und mit ähnlichen hoheitlichen oder nicht hoheitlichen Aufgaben betraut sein wie Beamte. Hier ist im allgemeinen nur darauf abzustellen, ob die von dem Dienstberechtigten übernommenen geldlichen Leistungen wertmäßig die von dem Verpflichteten zugesagten und geleisteten Dienste übersteigen. Die für Beamte aufgestellten Grundsätze können aber dann auf Angestellte übertragen werden, wenn die dem Dienstverpflichteten gestellten Aufgaben eine besondere Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit erfordern oder wenn Anstellung und Höhe der Bezüge eine abgeschlossene Ausbildung voraussetzen oder von Art und Dauer früherer Beschäftigungen abhängig sind (vgl. neben BGH, NJW 1961, S. 2027/2028 insbesondere BGHSt 17, 254 <256 f.> und BGH, NJW 1978, S. 2042/2043).

Die erkennbar an dieser Rechtsprechung orientierte Begründung für das Vorliegen eines Vermögensschadens ist vertretbar und deshalb von Verfassungs wegen hinzunehmen. Dies gilt vor allem deshalb, weil nach den detaillierten Feststellungen des Landgerichts von einem "dem Verantwortungsbereich eines höheren Beamten" entsprechenden Zuständigkeitsbereich des Beschwerdeführers innerhalb des Landratsamtes (Amtsleiter des Hochbauamtes) auszugehen war. Eine Grundrechtswidrigkeit liegt (noch) nicht vor, wenn die Anwendung einfachen Rechts durch den hierzu zuständigen Richter zu einem Ergebnis führt, über dessen "Richtigkeit" sich streiten läßt, selbst dann nicht, wenn bei einer dem Richter durch gesetzliche Merkmale aufgetragenen Abwägung widerstreitender Interessen die von ihm vorgenommene Wertung im Einzelfall fragwürdig sein mag (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 62, 189 <192>). Entscheidend ist, daß das Risiko strafgerichtlicher Verfolgung auf der Grundlage eines objektiven Maßstabes, nämlich aus "Sicht des Bürgers" nicht wirklich zweifelhaft sein konnte. Daß dieses Risiko auch von dem Beschwerdeführer erkannt worden ist, steht nach den Urteilsfeststellungen außer Frage.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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