Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.04.2003
Aktenzeichen: OVG 2 S 5.03
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, BauO Bln, ProstG


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4
BauNVO § 6
BauO Bln § 70 Abs. 1
ProstG v. 20.12.2001 (BGBl. I S. 3983) Art. 1 § 1 Satz 1
1. In allgemeinen Wohngebieten und Mischgebieten sind bordellartige Betriebe grundsätzlich planungsrechtlich unzulässig.

2. Zur Beurteilung eines "Massagestudios" als bordellartiger Betrieb.


OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

Aktenzeichen OVG 2 S 5.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag, den Richter am Oberverwaltungsgericht Liermann und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow

am 9. April 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2002 geändert.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Nutzungsuntersagung des Antragsgegners vom 13. Juni 2002 wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 13 250 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der mit dem Widerspruch angefochtenen Verfügung des Antragsgegners vom 13. Juni 2002, durch die ihm unter Zwangsgeldandrohung die gegenwärtige und künftige Nutzung der Räume im ersten Obergeschoss des Gebäudes auf seinem Grundstück in Berlin für einen bordellartigen Betrieb untersagt wird. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit der Begründung stattgegeben, der als "Massagestudio" bezeichnete Betrieb sei nicht als bordellartiger Betrieb einzustufen. Unter Berücksichtigung der Einlassungen der Mieterin der Wohnung, der Ausstattung der Betriebsräume sowie der Betriebszeiten von Montag bis Sonnabend zwischen 10.00 und 20.00 Uhr gelangt das Verwaltungsgericht zu der Auffassung, dass es sich nicht um einen Betrieb handele, in dem Sex im Vordergrund stehe und Geschlechtsverkehr durch Prostituierte angeboten würde, sondern um einen Massagebetrieb mit erotischen Elementen, den Männer und wohl auch Frauen in erster Linie zum Zwecke der körperlichen Entspannung aufsuchten und dabei keinen Geschlechtsverkehr beabsichtigten.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Anordnung überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben.

Die auf § 70 Abs. 1 BauO Bln gestützte Untersagungsanordnung ist bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Die Aufnahme des unter der Bezeichnung "Massagestudio" geführten Betriebes ist als Nutzungsänderung gemäß § 55 Abs. 1 BauO Bln formell genehmigungsbedürftig und wegen planungsrechtlicher Unzulässigkeit nicht genehmigungsfähig.

Bei dem "Massagestudio" im ersten Obergeschoss des Gebäudes handelt es sich um einen bordellartigen Betrieb.

Bei dieser Charakterisierung der Betriebsform ist kein zu eng gefasster Begriff der Prostitution zugrunde zu legen. Darunter ist die entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen mit - zumeist - wechselnden Partnern zu verstehen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl. 2003, § 180 a Rdnr. 3 und Art. 1 § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [Prostitutionsgesetz - ProstG -] vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3983]), wobei der Begriff der sexuellen Handlung alle Modalitäten und Varianten der den jeweiligen Partner sexuell stimulierenden Betätigungen umfasst. Die so umschriebenen Merkmale der Prostitution, die die Gewerbetätigkeit in der Wohnung als bordellartigen Betrieb qualifiziert, werden durch die dort beschäftigten Frauen zweifelsfrei erfüllt. Diesen Schluss lassen - ungeachtet der dafür gewählten, den eigentlichen Betriebscharakter verdeckenden Bezeichnung als "Massagestudio" - die die konkrete Betriebsform kennzeichnenden gesamten Umstände zu. Das gilt vor allem für die dort praktizierte Art der auch den Genitalbereich erfassenden Ganzkörpermassage durch Frauen mit unbekleidetem Oberkörper sowie die spezifische Form der Zeitungsanzeigenwerbung für den Betrieb. Dass hierbei in erster Linie eine Wellness-Massage mit lediglich erotischem Einschlag, nicht aber ein vorwiegend auf die sexuelle Stimulation ausgerichteter Kontakt stattfindet, ist unglaubhaft. Für diese Beurteilung kommt den Feststellungen des den Betrieb überprüfenden Polizeibeamten vom 9. April 2002, dem vor der Offenbarung seiner amtlichen Funktion ein eindeutig in dieser Richtung gehendes Angebot gemacht wurde, ein wesentlich zuverlässigerer Erkenntniswert zu, als den Angaben der naturgemäß auf die Vermeidung der Einstufung des Betriebs als bordellartig bemühten Mieterin der Wohnung und Betreiberin des "Massagestudios" bei der angekündigten Ortsbesichtigung durch die Kammer des Verwaltungsgerichts. Keinen Zweifel an dem sexuellen Charakter der in der Wohnung angebotenen Dienstleistungen lassen zudem die unter der Rubrik der Kontaktanzeigen "Sie für ihn" inmitten entsprechender Anzeigenwerbungen im "Berliner Kurier" fortlaufend veröffentlichten, neuerdings zum Teil mit einer Frau in unmissverständlicher Pose reißerisch aufgemachten Anzeigen für das "Massagestudio" zu. An einer traditionellen gesundheitsbezogenen Massage oder Wellness-Behandlung interessierte Personen dürften wohl kaum unter dieser Anzeigenrubrik nach geeigneten Angeboten suchen. Soweit die Mieterin und Betreiberin vorträgt, dass die Aufnahme ihrer Anzeigen im Kurier unter die Kontaktanzeigen "Sie für ihn" nicht auf ihren ausdrücklichen Wunsch zurückgehe, ist dies nicht glaubhaft, zumal sich auch die späteren, nach Erlass der angefochtenen Unterlassungsanordnung erschienenen Anzeigen nach wie vor an der gleichen Stelle befinden. Dass - wie die Mieterin und Antragstellerin im Verfahren OVG 2 S 6.03 vorträgt - für das Unternehmen unregelmäßig auch in der "Berliner Morgenpost" unter der Rubrik "Wellness" geworben wird, beeinträchtigt den aus den Anzeigen im "Kurier" zu gewinnenden Eindruck über den eigentlichen Charakter des Betriebes nicht. Für die sich danach ergebende Einstufung des Betriebes als bordellartig ist es im Übrigen auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung, welche fachliche Ausbildung die Betreiberin besitzt und ob sich die Preisgestaltung wesentlich von derjenigen für eine reine Massagebehandlung unterscheidet. Das Gleiche gilt für die behauptete, in den früheren Zeitungsanzeigen vermerkte Beschränkung der Betriebszeiten auf montags bis samstags zwischen 10.00 und 20.00 Uhr.

Die ungenehmigte Nutzung der Räume für einen bordellartigen Betrieb ist planungsrechtlich unzulässig. Das Grundstück liegt in einem nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 4 BauNVO zu beurteilenden faktischen allgemeinen Wohngebiet, wie sich aus den Darstellungen der Art der baulichen Nutzung der umgebenden Grundstücke in den Verwaltungsvorgängen ergibt. Mit dem unsubstanziierten Vorbringen, es müsse in Zweifel gezogen werden, ob es sich überhaupt um ein faktisches allgemeines Wohngebiet handele, da in unmittelbarer Nähe Fabrikgebäude vorhanden seien, die nach wie vor betrieben würden, vermag der Antragsteller diese Einschätzung nicht in Frage zu stellen.

Bordellartige Betriebe sind im allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich unzulässig; sie können insbesondere nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe zugelassen werden. Das folgt aus der prinzipiellen Unvereinbarkeit derartiger Gewerbebetriebe mit den dem planungsrechtlichen Begriff des Wohnens und des Wohngebietes zugrunde liegenden städtebaulichen Ordnungszielen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983, BVerwGE 68, 213, 215 f., Beschluss vom 28. Juni 1995, BRS 57 Nr. 69 und Beschluss vom 29. Oktober 1997, BRS 59 Nr. 62, vgl. auch - für Mischgebiete - VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. Oktober 1990, BRS 52 Nr. 55 und Urteil vom 13. Februar 1998, NVwZ-RR 1998, S. 550, BayVGH, Beschluss vom 19. Mai 1999, UPR 1999, S. 395). Die davon bei der gebotenen typisierenden Betrachtung ausgehenden Störungen des Wohnens in einem planungsrechtlich dem Wohnen dienenden Gebiet bestehen nicht nur vordergründig in einer Beeinträchtigung der Wohnruhe, etwa durch verstärkten Kraftfahrzeugverkehr oder lautstarke Auseinandersetzungen, sondern ganz allgemein in den negativen "milieubedingten" Auswirkungen derartiger Einrichtungen auf das das Wohnumfeld in dem betreffenden Gebiet prägende soziale Klima. Insoweit unterscheiden sich - entgegen der Auffassung des Antragstellers - die für die ansässige Wohnbevölkerung wahrnehmbaren Auswirkungen eines bordellartigen Betriebes entscheidend von denjenigen einer Zahnarztpraxis, wie sie in den Räumen zuvor betrieben wurde.

Zu Unrecht versucht der Antragsteller, aus einer dem Prostitutionsgesetz zugrunde liegenden generellen Änderung der sozialethischen Wertung dieses Gewerbes eine auch planungsrechtliche Gleichstellung mit anderen legalen Gewerbeausübungen herzuleiten. Die darin getroffenen zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen haben jedoch keinen maßgebenden Einfluss auf die an dem erörterten städtebaulichen Leitbild eines dem Wohnen dienenden Baugebiets orientierte negative Einschätzung der Umgebungsauswirkungen von Bordellen und bordellartigen Betrieben in diesen Bereichen.

Selbst wenn im Übrigen die nähere Umgebung des Grundstücks als faktisches Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO einzustufen wäre, wäre auch dort der bordellartige Betrieb als Gewerbebetrieb schon aufgrund seiner spezifischen Ausgestaltung und typischen Umgebungsauswirkungen planungsrechtlich unzulässig, da in Mischgebieten jedenfalls nur eine mit dem Wohnen im Wesentlichen verträgliche gewerbliche Nutzung zulässig ist, während die von bordellartigen Betrieben ausgehenden Auswirkungen eine wesentliche Störung des Wohnens darstellen (vgl. die zitierten Entscheidungen des VGH Bad.-Württ., a.a.O. und BayVGH, a.a.O.). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise Störungen der beschriebenen Art für das Wohnumfeld nicht zu erwarten sind, sind nicht gegeben.

Ist damit bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Nutzungsuntersagung rechtmäßig, so ergibt sich das überwiegende Vollzugsinteresse bereits hieraus und überdies aus der Gefahr einer negativen städtebaulichen Vorbildwirkung.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie aus § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück